wird heute ein Neubaugebiet angelegt, dann prüft man vorher sorgfältig Lage, Beschaffenheit und Entwässerung des Geländes, denn selbst in unserer hochtechnisierten Zeit bestimmt der Boden noch weitgehend das Bauen. Noch viel mehr waren natürlich die Menschen der Vorzeit davon abhängig, wenn sie ihre Wohnstätten errichten wollten, und so ist auch in Appenheim die Geologie Grundlage der frühen Siedlungsgeschichte.
Ganz Rheinhessen- einschließlich des „Westplateaus“, auf dem Appenheim liegtist in seiner heutigen Gestalt ein Produkt der„jüngeren“ Erdgeschichte, also etwa eine halbe Million Jahre alt. Die Geologie mißt eben mit anderen Maßstäben als die menschliche Geschichte. Am Ende der letzten Eiszeit (etwa 10.000 v. Chr.) war die weitgehend im Tertiär entstandene Landschaft fast so, wie sie sich uns heute darbietet: große, an den äußeren Rändern steil abfallende Hochflächen die mit Löß bedeckt sind, nur selten Wald tragen und von wenigen Bachläufen zerteilt werden. Davor liegt die breite, bisweilen sumpfige Talzone des Rheins. Im Gegensatz zu dem plumperen südlichen Teil des Westplateaus um Oberhilbersheim und Wolfsheim ist der nördliche zwischen Niederhilbersheim und Gau-Algesheim stärker gegliedert, besonders durch den Wehbach und seine Nebenläufe, die Appenheim für rheinhessische Verhältnisse geradezu wasserreich machen. Wald gab es hier-wie im ganzen Rheinhessen – schon in der Vorzeit entsprechend dem vorherrschenden Trockenklima äußerst wenig; nur der Westerberg, der ohnehin ein geologischer Sonderling ist, war damals ganz mit Wald bedeckt, der vielleicht mit jenem bei Ober-Olm zusammenhing.
Dieses nur leicht hügelige, waldarme und verhältnismäßig warme Land bot den Menschen der Vorgeschichte (aus der wir ja keine schriftlichen Zeugnisse haben und uns an Bodenfunde halten müssen) gute Siedlungsbedingungen. Während uns aber in anderen Teilen Rheinhessens etliche Funde aus der Alt- und Jungsteinzeit ( 9.000 bis 2.000 v. Chr.) bekannt sind, fehlen solche aus der Appenheimer Gemarkung völlig. Immerhin wurde auf dem Westerberg ein Grab der jungsteinzeitlichen „Schnurkeramiker“ gefunden, eines Jägervolkes, das die Ränder der Lößhochflächen, wo man leicht Wasser finden konnte, bevorzugte. Den ersten eindeutigen Hinweis auf eine Besiedlung der Gemarkung Appenheim geben einige „Brandgräber“, die 1896 am oberen Ortsausgang gefunden wurden. Neben den Urnen für die Asche der Toten lagen Gefäße mit Tierknochen- die den Verstorbenen wohl als Speisen dienen sollten – und einige einfache Tonringe. Wie Anlage und Schmuck beweisen, stammen diese Gräber aus der (nach einem französischen Fundort so genannten) ,La-Tene-Zeit“, vermutlich aus dem zweiten oder ersten Jahrhundert vor Christi Geburt. Gewiß, dieser vereinzelte Fund sagt nichts über Lage, Größe und Art der Siedlung aus, doch wissen wir immerhin etwas über deren Bewohner: In Appenheim lebten damals Kelten, die seit etwa 500-400 v. Chr. ganz Rheinhessen in mehr oder minder geschlossenen Dörfern besiedelten. Sie gehörten nach neuesten Erkenntnissen dem Stamm der „Treuerer“ an, nach dem die Römer dann das heutige Trier benannten. Das gesamte Verbreitungsgebiet der Kelten reichte um Christi Geburt von England und Frankreich bis in die Tschechoslowakei. In unserer engeren Nachbarschaft gehen die Städtenamen Mainz, Worms und Bingen sowie der Flußname „Rhein“ auf keltische Worte zurück. Manche Forscher halten auch die Bezeichnungen „Rechen“-Born und Appenheim für ursprünglich keltisch.
Seit etwa 50 v. Chr. gerieten die rheinischen Kelten von zwei Seiten unter Druck: von Norden durch germanische Stämme, von Süden durch die Römer. Denn nach der Eroberung des ebenfalls keltischen Galliens (etwa des heutigen Frankreich) schoben Caesar und seine Nachfolger, die Kaiser Augustus (31 v. – 14 n. Chr.) und Tiberius (14-37 n. Chr.) die römische Reichsgrenze bis an den Rhein vor. Dachten sie dabei zunächst noch an weitere Eroberungen, z.B. des rechtsrheinischen Germaniens, so bauten sie nach dem Scheitern dieser Pläne (um 9 n. Chr.) das Rheingebiet zu einer starken Militärgrenze aus. Auf Taunus und Odenwald legten die Römer einen Befestigungswall, den „Limes“ an, hinter dem am Rhein große Garnisonsstädte wie :Mainz, Worms oder Koblenz lagen. Dazwischen gab es – an strategisch wichtigen Punkten – gut befestigte Kastelle, die neben einem großen Truppenlager noch Siedlungen für Handwerker und Kaufleute umfaßten. Eines dieser Kastelle war Bingen, das den Naheübergang sicherte („Drususbrücke“!) und an der wichtigen Römerstraße von Mainz nach Trier lag. Daneben gab es eine ältere, wohl keltische Siedlung, die wie die Grabfunde zeigen – einen hohen Lebensstandard besaß und wirtschaftlich große Anziehungskraft auf das Umland ausübte. Dieses Hinterland war inzwischen ganz anders besiedelt: An die Stelle der keltischen Dörfer waren einzelne römische Gutshöfe, Ivillae“ genannt, getreten. Reste einer solchen „villa“ wurden 1865 in Niederhilbersheim gefunden, und es ist zu vermuten, daß ein entsprechender Hof auch in der Appenheimer Gemarkung stand. Daß unser Ort zur Römerzeit bewohnt war, darauf deuten die zahlreichen Gegenstände des täglichen Bedarfs der Römerzeit (Tongefäße, Ölgläser und Münzen) hin, die in und um Appenheim gefunden wurden. Daß dazu auch Weinkrüge gehörten, läßt annehmen, daß dieses Getränk damals hier schon bekannt war, wenn nicht sogar hergestellt wurde. Der Weinbau war Teil des höheren Lebensstandards, den die Römer an den Rhein mitgebracht hatten. Ein weiterer Hinweis darauf sind die Reste einer kleinen römischen Badeanlage am Ortsrand von Appenheim, ebenso das Stück römischer Wasserleitung, das in Gau-Algesheim gefunden und offensichtlich aus Appenheimer Quellen versorgt wurde. Diese technische Überlegenheit der Römer beschleunigte sicher die Anpassung der Einheimischen, die aus der keltischen Urbevölkerung und den inzwischen eingesickerten Germanen (vielleicht vom Stamm der Vangionen) bestanden. Zu dieser „Romanisierung“ trug natürlich auch die straffe römische Verwaltung bei, die in unserem Raum damals von Mainz aus für die Provinz „Obergermanien“, einem breiten Streifen links des Rheins vom Elsaß bis nach Remagen, wahrgenommen wurde.
Diese Zeit friedlicher Entwicklung und eines gewissen Wohlstands war vorbei, seitdem etwa ab 250 n. Chr. germanische Stämme gegen die römische Rheingrenze anstürmten. Zunächst gelang es zwei dieser Völkerschaften, den Franken und Alemannen, den rechtsrheinischen Limes zu überwinden und die Römer auf das linke Rheinufer abzudrängen (259/260). Zehn Jahre später gab es auch in Rheinhessen schon Germaneneinfälle, Kreuznach und Alzey wurden zerstört. Immer mehr zogen sich die Bewohner und Bauern der römischen Gutshöfe in die Militärstützpunkte zurück; so werden die „Appenheimer“ sich lange Zeit in Bingen aufgehalten haben. Doch auch hier waren sie nicht vollkommen sicher, denn Bingen wurde 355 gründlich von Germanen zerstört. Zwar befestigten die Römer die Stadt bald wieder, doch dauerte ihre Herrschaft am Rhein nur noch fünf Jahrzehnte. Aus dieser Zeit – dem späten 4. Jahrhundertfand man in Appenheim römische Münzen, die eine wichtige Änderung aufwiesen: Sie zeigten nicht mehr wie bisher heidnische Götterbilder, sondern die griechischen Anfangsbuchstaben des Namens „Christus“ (XP). Seit Konstantin dem Großen (324-337) war das Christentum ja die vom Staat bevor bevorzugte, seit Kaiser Theodosius (394) die allein zugelassene Religion im Römischen Reich. Daraus zu schließen, es habe um 400 in Appenheim schon Christen gegeben, ist sicher verfehlt, zumal sich einheimisches und römisches Heidentum gerade auf dem Land lange hielten. Doch kann man davon ausgehen, daß die neue Religion damals hier schon bekannt war.
Im Jahre 406 brach die Römerherrschaft am Rhein endgültig zusammen: Vor dem erneuten Ansturm der Germanen wichen die Römer nach Südwesten aus; in ihre rheinischen Provinzen rückten in dichter Folge die Stämme der Vandalen, Alanen und Sueben ein und gründeten meist nur kurzlebige Staaten (Burgunderreich bei Worms; vgl. Nibelungenlied). Auch in und um Appenheim ging in dieser Völkerwanderung die hochstehende Kultur des Altertums unter, kam jede geordnete Verwaltung zum Erliegen und wurden die meisten Gutshöfe verlassen; lediglich der Weinbau-und das Christentum blieben als „Importe“ der Römerzeit erhalten.
In dieses teils verlassene, teils verwüstete Land kamen Ende des 5. Jahrhunderts die germanischen Franken und Alemannen.
Rheinhessen scheint zunächst alemannisch gewesen zu sein, worauf z.B. die Ortsnamen von Gensingen, Sprendlingen und Plani(n)g(en) hinweisen. Dem Frankenkönig Chlodwig gelang es aber 496/97, die Alemannen nach Süden abzudrängen und so war Rheinhessen um 500 fest in Händen der Franken.
Nun begann eine intensive Neubesiedlung unseres Raumes, ein Vorgang, den man die „Fränkische Landnahme“ nennt. Sie vollzog sich über eine lange Zeit, begann aber schon unter den Merowingern (ab 500) und dauerte ohne Unterbrechung bis ins 7. Jahrhundert. Danach war das Siedlungsbild Rheinhessens gänzlich verändert: Während einige Römerstädte wie Mainz, Worms oder Bingen weiter Zentren von Kirche und Verwaltung blieben, gaben die Franken die römischen Gutshöfe völlig auf und siedelten – wie die Kelten – wieder in geschlossenen Dörfern. Von diesen Siedlungen wurden bis heute kaum Reste ausgegraben, einfach deshalb, weil sie genau an der Stelle der jetzigen Ortskerne liegen. Typisch für die frühen fränkischen Ansiedlungen war, daß sich oberhalb von ihnen große Friedhöfe befanden, auf denen die Toten in langen Reihen nebeneinander bestattet wurden; gemeinsam war den fränkischen Dörfern aber auch, daß ihre Namen stets auf-heim endeten. Obwohl für Appenheim ein Reihengräberfriedhof nicht nachzuweisen ist, kann man doch annehmen, daß unser Ort eine fränkische Gründung ist. Darauf deutet schon die – auch im übrigen Rheinhessen ja massenhaft auftretende -Ortsnamenendung auf -heim hin, außerdem die von den Franken so gern gewählte Muldenlage, nicht zuletzt aber auch der Zeitpunkt, für den ein schriftliches Dokument über Appenheim vorliegt.
Verfasser: Dr. Franz Dumont aus Mainz Beitrag von 1983
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